Der Begriff Performative Philosophie knüpft an zentrale Aspekte eines Konzeptes von Performativität an, das (im deutschsprachigen Raum) vor allem seit den 2000er Jahren in einem interdisziplinären Diskurs zwischen den Sprachwissenschaften, den Kulturwissenschaften (insbesondere der Theaterwissenschaft und der Ethnologie), aber auch der Philosophie und der Soziologie entwickelt worden ist. In diesem Diskurs wird der Begriff der Performativität insbesondere auf sprachlichen Äußerungen angewendet. Mit dem Konzept der Performativität richtet sich die Aufmerksamkeit zum einen auf den praktischen Vollzugscharakter, das Transitorische und unhintergehbar Singuläre von sprachlichen Handlungen (im Mündlichen zunächst deutlicher zu erkennen als im Schriftlichen) und darauf, dass Worte und andere Symbolsysteme Welt nicht nur darstellen, sondern zugleich konstituieren, dass sie Wirklichkeit performativ hervorbringen können. Zum anderen verweist der Performativitätsbegriff auf die Inszeniertheit, Theatralität und Ritualität von sprachlichen Handlungen. Zum dritten richtet sich der Fokus mit dem Konzept der Performativität auf Aspekte wie Leiblichkeit und Präsenz. Dazu gehört auch das affektive leiblich-körperliche Erfasst-Werden von sprachlichen Performanzen – sowohl auf Seiten der Zuhörer*innen als auch der Sprecher*innen. Und damit verbunden geht es um Erfahrungen von „Liveness“, Ko-Präsenz und gegenseitiger kommunikativer „Ansteckung“ etc.
Der Diskurs um die Performative Philosophie hat zwei Hauptstränge. Zum einen versucht er, diese Perspektiven auf die universitäre und außeruniversitäre Praxis der Philosophie anzuwenden. Philosophische Sprechakte haben eine starke performative Qualität. Auch sie sind Handlungen und erzeugen Wirklichkeit. Auch sie finden häufig innerhalb theatral-rituell deutbarer Formen statt. Auch sie sind stark durch ihre körperlich-präsentische Ebene geprägt. Vor dem Hintergrund einer solchen medientheoretischen Betrachtung philosophischer Formate, ist es vielleicht auch möglich,neue (z.B. partizipativere, spielerischere, zögerndere etc.) Formen zu finden, in der Philosophie geübt, vollzogen und performt werden kann. Das ist wichtig, weil die Formen das in ihnen vollzogene Denken und somit auch das in ihnen Denkbare mitbestimmen.
Der zweite Strang des Diskurses der Performative Philosophie beschäftigt sich damit, experimentell auszuprobieren und zu beschreiben, inwiefern explizit performativ-theatrale (und andere künstlerische) Praktiken, Formate und Arbeiten genutzt werden können, um zu philosophieren. Welche Art von interdisziplinär-hybriden Projekten sind philosophisch spannend? Wie befeuert (oder hemmt) ein expliziter Philosophiebezug künstlerische Arbeiten? Welche Formen von Denken und Erkenntnis entstehen? Wie ändert und verschiebt sich das Denken dabei? Wie interagieren und ergänzen sich verschiedene Formate? Dabei sind sowohl philosophienahe Formen als auch philosophieferne von Interesse. Für das Entwickeln und Beschreiben dieser Praktiken, Formate und Arbeiten spielen die oben genannten Aspekte der Performativität der Sprache eine Rolle: Handlung, Ritualität und Theatralität, Körperlichkeit, zwischenmenschliche Resonanz und Interaktion. Dabei können, wie oben schon angedeutet, auch bühnenferne künstlerische Vorgehensweisen als performative Philosophie gedeutet werden; insbesondere, aber nicht nur in ihren verkörpernden Aspekten. Der Begriff der Performativen Philosophie zeigt eine Nähe zur Idee der künstlerischen Forschung.
Zu Formaten einer performativen Philosophie zählen z.B.:
– Lecture-Performances, die explizit oder implizit auf Philosophie Bezug nehmen
– Theaterstücke, Tanz und Performances, die explizit oder implizit auf Philosophie Bezug nehmen
– Experimentelle Formen des gemeinsamen Philosophierens, insbesondere solche, die ungewohnte Praktiken und Medien einsetzen (sowohl in Bühnen- als auch in Unterrichtssituationen).
– Experimentelle Gesprächsformate, die explizit oder implizit auf Philosophie Bezug nehmen
– künstlerische, interdisziplinäre Formen des Forschens (vergleiche: künstlerische Forschung) oder von künstlerischer Arbeit im Spannungsfeld zwischen Philosophie und anderen Feldern.
Beide Stränge des Diskurses der Performativen Philosophie untersuchen die Verhältnisse von Medialität und Inhalt. Darin spiegelt sich der alte Kampf der Philosophie zwischen Logik und Rhetorik.
Rainer Totzke und Veronika Reichl